Biografie

Selahattin Demirtaş wird am 10. April 1973 in Diyarbakır, im Suriçi-Viertel, Bezirk Sur, geboren. Er ist das zweite von sieben Kindern, sein Vater ist Arbeiter, seine Mutter Hausfrau. Seine Kindheit verbringt er in den vom Militärputsch geprägten Jahren. Das Militärregime verhängt nach dem Putsch am 12. September 1980 den Ausnahmezustand, massive Rechtsverletzungen sind die Regel. Seine Jugendzeit in den 90er Jahren ist durch schwere Menschenrechtsverletzungen gekennzeichnet. Insbesondere Diyarbakır, die Stadt, die als das symbolische Zentrum der Kurden gilt, ist von schwersten Menschenrechtsverletzungen betroffen.

Nach Beendigung der Schulzeit zieht Selahattin Demirtaş mit seinem älteren Bruder Nurettin nach Izmir, in den Westen der Türkei, und beginnt an der Universität des 9. September Maritime Betriebswirtschaft zu studieren. Im zweiten Jahr seines Studiums werden sein Bruder und er in Gewahrsam genommen. Während Selahattin wieder freigelassen wird, wird sein Bruder Nurettin verhaftet. Selahattin wird Zeuge der Misshandlungen und der Folterung seines Bruders.

Nach diesen Ereignissen bricht Selahattin Demirtaş sein Studium ab und kehrt nach Diyarbakır zurück. Er beginnt im Sanitärinstallationsgeschäft seines Vaters zu arbeiten.

Wegen der Repressionen, denen Anwälte zu der Zeit ausgesetzt sind, gelingt es seiner Familie lange Zeit nicht, einen Anwalt für Nurettin Demirtaş zu finden. Diese Erfahrungen lassen in Selahattin Demirtaş den Wunsch erstarken, Anwalt zu werden, um Gerechtigkeit zu suchen und Rechte zu verteidigen.

In Diyarbakır wird Selahattin Demirtaş im Jahr 1993 erneut in Gewahrsam genommen. Dies geschieht vor den Augen unzähliger Menschen, dennoch streitet die Polizei 15 Tage lang ab, dass Demirtaş sich in ihrem Gewahrsam befindet. Es ist die Zeit des „Verschwindenlassens“. Täglich werden Menschen in Polizeigewahrsam genommen und verschwinden anschließend. Tagelang wartet seine Familie vor dem Staatssicherheitsgericht Diyarbakır. Selahattin Demirtaş wird 15 Tage lang misshandelt und gefoltert.

Nach seiner Freilassung bereitet er sich auf die Aufnahmeprüfung zur Juristischen Fakultät der Universität Ankara vor und besteht die Prüfung. Nach erfolgreichem Abschluss seines Jurastudiums kehrt Selahattin Demirtaş sofort nach Diyarbakır zurück und wird Mitglied der Gefängniskommission der Anwaltskammer Diyarbakır. Gemeinsam mit seinen Anwaltskollegen recherchiert und schreibt er einen Bericht über die Rechtsverletzungen in den Gefängnissen in Diyarbakır und den umliegenden Provinzen und beteiligt sich an den Aktivitäten des Menschenrechtsvereins IHD in dieser Region. Währenddessen gründet er ein Rechtsbüro, das Mandanten kostenlos in Gerichtsverfahren vertritt.

2004 wird Demirtaş Vorsitzender des IHD-Büros in Diyarbakır, 2005 wird er Mitglied der Menschenrechtsstiftung TIHV.

Selahattin Demirtaş erkennt, dass die Rechtsverletzungen nicht aufhören werden, solange nicht eine demokratische, friedliche und politische Lösung für die kurdische Frage gefunden wird. Er beschließt, politische Verantwortung zu übernehmen. Um eine friedliche Lösung für die kurdische Frage zu entwickeln, stellt er sich 2007 mit einer Gruppe unabhängiger Kandidaten, die von der Partei der Demokratischen Gesellschaft (DTP) unterstützt werden, bei den Parlamentswahlen zur Wahl und wird am 22. Juli 2007 als Abgeordneter von Diyarbakır gewählt. Im Parlament bilden die unabhängigen Kandidaten unter dem Dach der DTP eine Fraktion, Selahattin Demirtaş wird zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden gewählt. Am 11. Dezember 2009 verbietet das Verfassungsgericht die DTP. Demirtaş wechselt mit den anderen DTP-Abgeordneten zur Partei des Friedens und Demokratie (BDP), am 1. Februar 2010 werden Gültan Kışanak und er zu den Co-Vorsitzenden der Partei gewählt.

Am 22. Juni 2014 werden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ gemeinsam zu Co-Vorsitzenden der aus verschiedenen Parteien und Gruppierungen gebildeten Demokratiepartei der Völker (HDP) gewählt.

Bei den Präsidentschaftswahlen am 10. August 2014 kandidiert Demirtaş für das Amt des Präsidenten und erhält 9,8% der Stimmen.

Bei den Parlamentswahlen am 7. Juni 2015 erhält die HDP 13,1% der Stimmen und kann 80 Abgeordnete ins Parlament schicken.

Nach diesen Wahlen endet die Phase der als Lösungsprozess bezeichneten Friedensgespräche, an denen die HDP aktiv mitgewirkt hat. Die Rückkehr zur Kriegspolitik ist der Beginn einer Zeit mit schweren Rechtsverletzungen.

Selahattin Demirtaş wird in der Nacht des 4. November 2016 mit zehn weiteren HDP-Abgeordneten in Gewahrsam genommen. Seitdem ist er im F-Typ Hochsicherheitsgefängnis in Edirne inhaftiert.

Aus dem Gefängnis heraus tritt Demirtaş zu den Präsidentschaftswahlen am 24. Juni 2018 als Kandidat der HDP an. Die Forderungen seiner Anwälte nach seiner Freilassung werden abgelehnt und Selahattin Demirtaş kann nicht frei politisch arbeiten. Dennoch, trotz aller widrigen Umstände, erhält er rund 4.205.000 Stimmen, was einem Stimmenanteil von 8,4% entspricht.

Im Gefängnis schreibt Selahattin Demirtaş mehrere Erzählungen, die er in den Büchern “Seher” (2017) und “Devran” (2019) veröffentlicht, sowie den Roman “Leylan” (2020). Seine Bücher werden in mehrere Sprachen übersetzt. Die Liedtexte, die er im Gefängnis schreibt, werden von mehreren Künstlerinnen und Künstlern vertont und gesunden. Zahlreiche seiner Bilder, Zeichnungen und Karikaturen werden veröffentlicht.

Selahattin Demirtaş ist mit Başak Demirtaş verheiratet und hat zwei Töchter, Delal und Dılda.